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TRACE καιρος - Essays unter Zeitdruck

31.08.2022


Heiner Mühlmann

Die Grenze zwischen dem Raum und dem Universum

Über den kulturellen Ursprung von Raum und Zeit

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Den Raum an sich gibt es nicht. Raum ist nicht einfach da. Er ist nicht real vorhanden, weder in der Landschaft, noch auf der Erdoberfläche, noch im Weltall.

Doch was bedeuten Ausdrücke wie „gibt es nicht“, „ist nicht da“, „ist nicht real“, „ist nicht vorhanden“? Wenn man sie in die Sprache der Philosophie übersetzt, bedeuten all diese Ausdrücke: „existiert nicht“. Aber gibt es denn überhaupt Entitäten ohne Existenz? Ja! Es gibt die Konzepte. Im philosophischen Traditionsdeutsch würde man sagen: „die Begriffe“.

Metaphysik ist eigentlich nicht die Lehre von geistigen Wesenheiten im Jenseits, sondern die Lehre von der Sprache, die Realität beschreibt, so wie Metasprache – zum Beispiel Grammatik – die Lehre von der Sprache ist, die Sprache beschreibt.

Die wichtigste Unterdisziplin der Metaphysik ist die Mereologie, die Lehre vom Ganzen und von seiner Zusammensetzung aus Teilen. Und die wichtigste Frage der Mereologie gilt der Existenz, die in zusammengesetzten Objekten enthalten ist. Diese Frage lautet: Was existiert eigentlich, das Ganze oder die Teile?

Es gibt die philosophische Richtung der mereologischen Nihilisten. Sie sagen: Es existieren weder das Ganze noch die Teile. Und es gibt eine andere, bemerkenswerte Richtung unter den Metaphysikern. Zu ihr gehört der amerikanische Philosoph Peter van Inwagen. Er sagt: Es gibt im Universum nur einen Typus von Objekten, die aus Teilen bestehen und Existenz haben. Es sind die Lebewesen.

Woher beziehen die Lebewesen ihre Existenz, wenn sie angeblich durch das Kriterium Existenzhaltigkeit anders sind als alle anderen zusammengesetzten Objekte? Die Antwort lautet: Sie gewinnen ihre Andersartigkeit aus ihrer Emergenz. Und was bedeutet Emergenz? Es bedeutet: Ein Phänomen ist plötzlich einfach da. Es entsteht aus einer neuen Zusammensetzung von Teilen, die alle schon vorher da waren und bekannt sind. Es handelt sich um die Einzigartigkeit einer neuen Zusammensetzung, die selbstorganisatorisch und autopoietisch ist. Und die einzigen Fallbeispiele dieser auf Selbstorganisation beruhenden Emergenz sind die Lebewesen.

Doch die Physiker, die über den Ursprung von Raum und Zeit nachdenken, benutzen das Wort Emergenz in einem Zusammenhang, der nichts mit Lebewesen und Selbstorganisation zu tun hat. In dem Zusammenhang, den sie herstellen, sind Emergenz, Existenz und Leben nicht aneinander gekoppelt. Sie sagen, die Raumzeit sei emergent und entstehe auf emergente Weise aus Entitäten – z. B. Materie und Energie – die vor ihr dagewesen seien.

Wenn die Raumzeit emergent wäre, dann müsste sie existieren und somit Teil der Realität sein und nicht so etwas wie die Bühne, auf der die Realität erscheint. Sie wäre nicht die Bühne, auf der Materie und Energie erscheinen, sondern sie wäre ein emergentes Phänomen, das aus der Zusammensetzung von Materie und Energie resultierte. Materie und Energie seien somit schon vorher da und dann sei auf vermeintlich emergente Weise plötzlich die Raumzeit da.

Unabhängig von den Fragen nach Emergenz und Existenz gäbe es in einer Theorie, in der Raumzeit Resultat einer nicht raumzeitlichen Realität ist, eine Realität, die jenseits von Raum und Zeit existieren würde. Es müsste sich dabei um existierende Transzendenz oder transzendente Existenz handeln. Es müsste sich um ein raumloses Universum handeln, auf das sich alles bezieht, was existiert. Das raumlose Universum wäre das Bezugssystem von allem, was existiert, - wie in der Metaphysik des Mittelalters das himmlische Jerusalem das Bezugssystem all derer ist, die eine unsterbliche Seele haben.

Doch in der Sicht der modernen Metaphysik haben nur die Lebewesen Existenz. Bezugssysteme ihrer Existenz wären in Anbetracht der Raumlosigkeit des Universums nicht Raum und Zeit, nicht wo sie leben und wann sie leben. Bezugssystem ihrer Existenz wäre das transzendente, raumlose Universum.

Materie und Energie lassen sich auf plausible Weise nur durch ein Bezugssystem beschreiben, in dem Raum und Zeit keine Geltung haben. Denn für Materie und Energie gelten die Prinzipien der Verschränkung und der gleichzeitigen Kohärenz von Teilchen, die sich in weiten Entfernungen voneinander befinden, die gleichzeitig an zwei Orten sind, die zwischen den Erscheinungsformen „Teilchen“ und „Welle“ hin und her changieren, und für die Raum und Zeit keine Geltung haben. Auch diese Art von raumlosen Bezugssystemen nennen die Physiker „Raum“, und zwar „CFT-Raum“. „CFT“ steht für „konforme Feldtheorie“. Die Vorstellung von Raum hat sich bei der theoretischen Konzeption des CFT-Raums durch metaphorisierendes Denken sehr weit von dem Raum entfernt, den wir aus dem Leben in unserer Welt kennen. Diese Raumlosigkeit ist zu einer „spatiorum immutatio“ geworden, d.h. zu einer Metaphorik der Räume, in der Räume andere Räume bedeuten, und in der Räume nicht räumliche Existenzen bedeuten.

Die Definition der Metapher lautete bei den alten Römern: „verborum immutatio“. Dementsprechend bedeutet „spatiorum immutatio“: Wechselspiel der Räume, in dem ein Raum die Bedeutung eines anderen Raums hat.

Seit Julian Jaynes spricht man zum Zweck der Analyse von Metaphern von Metaphoranden und Metaphoratoren. Die Beschimpfung „Hans ist ein Esel“ ist eine Metapher. Dabei hat das Wort „Hans“ die Funktion des Metaphoranden, und das Wort „Esel“ die Funktion des Metaphorators. Bei dem Satz „die Quantenkohärenz ist ein Phänomen des CFT-Raums ist der Ausdruck „Quantenkohärenz“ der Metaphorand und der Ausdruck „Raum“ der Metaphorator.

Aber die Metaphorisierung von Raumkonzepten geht noch weiter: Der CFT-Raum wird für den Raum der Quanten gehalten, obwohl das Verhalten der Quanten keinen räumlichen Bezug hat. Doch es gibt in der Physik ein Phänomen, das sich bis jetzt mit Quantentheorien nicht beschreiben lässt: die Gravitation. Sie lässt sich nur unter Bezugnahme auf den vierdimensionalen Raumzeit-Raum der Einsteinschen Relativitätstheorie beschreiben. Dieser Raum ist von den Physikern auf eine höhere Abstraktionsebene übertragen worden. Er ist weiterentwickelt worden zum sogenannten „Anti-de-Sitter-Raum“, kurz: „AdS-Raum“. Und dann stellen die Physiker die Frage, ob man den CFT-Raum mit dem AdS-Raum verbinden kann, um auf diese Weise Gravitation und Quantentheorie in einer kohärenten Synopse darzustellen.

Der AdS-Raum hat eine Dimension mehr als der CFT-Raum. Bei der Verbindung dieser beiden Raummodelle kommt es dann zu einem weiteren kühnen Metaphorisierungsschritt des Raumdenkens. Das lässt sich folgendermaßen umschreiben: Die Beziehung zwischen zwei Raummodellen, von denen eines eine Dimension mehr enthält als das andere, ist wie die Beziehung zwischen einem dreidimensionalen Kugelinnenraum, einer sogenannten „offenen Kugel“ und ihrer Raumgrenze, der zweidimensionalen, sogenannten 2Sphäre, die den dreidimensionalen Innenraum nach außen abgegrenzt wie die Gummihaut eines Luftballons, oder – noch eine Raummetapher - wie die zweidimensionale Grundfläche eines Hologramms, die alle Punkte des über ihr aufgespannten holographischen 3D-Raums in zusammengepresster Form enthält.

Wir befinden uns in einer Räumewelt, die durch eine komplexe Metaphorik aus dem guten alten 3D-Raum der Zentralperspektive entwickelt wurde. Wir sind konfrontiert mit dem Raum als Raumkonzept der Raumkonzepte, oder anders ausgedrückt: mit dem Raum als Metapher des Raums.

Die Aneinanderkopplung zweier unterschiedlicher Raumkonzepte nennen die Physiker „Raum-Dual“. Um die Analogie zu verdeutlichen, könnte man die Aneinanderkopplung von Metaphorand und Metaphorator einen „semiotischen Dual“ nennen.

Der AdS-Raum enthält den Einsteinschen 4D-Raum und ähnelt somit der Raumerfahrung unserer Erlebniswelt. Der CFT-Raum ist der Raum der Quantenverschränkung, der Äquivalenz von Teilchen und Welle und der „spukhaften“ Fernwirkung, und hat somit keinerlei Ähnlichkeit mit unserer Erfahrung von Raum und Zeit.

Dann gibt es noch die Räume, die nur die Funktion haben, die Definition des „Teilchens“ überhaupt zu ermöglichen. Das sind die Räume, die in der sogenannten Poincaré-Gruppe zum Zweck genau dieser Definitionsarbeit aneinander gekoppelt sind. Denn das „Teilchen“ ist kein Objekt sondern reines Resultat von Raumdefinitionen. Auch die Poincaré-Räume sind wie die CFT-Räume und die AdS-Räume Nachfahren des Renaissance-Perspektivraums.

Wie resultiert die Definition „das Teilchen“ aus der Poincaré-Gruppe, die aus der Aneinanderkopplung von drei verschiedenen Raumtypen besteht. Die Definition lautet: das, was sich durch Darstellungen in den drei verschiedenen Räumen nicht verändert, ist das „Teilchen“. Die drei verschiedenen Räume sind erstens: die Raumzeit mit ihren drei Freiheitsgraden für Bewegungen von A nach B (wie im Perspektivraum der Renaissance; Zahl der Freiheitsgrade = Zahl der Koordinaten). Zu den drei Freiheitsgraden der räumlichen Bewegungen kommt als vierter Freiheitsgrad die Zeit hinzu. Das erinnert an die Narrationstechnik, die sich seit der Renaissance in Europa durchgesetzt hat und die genannt wird: „Einheit von Raum, Zeit und Handlung“.

Zweitens: der Raum der Symmetrieachsen der drei Drehmöglichkeiten von Objekten in der Raumzeit, bei denen ebenfalls das gedrehte Objekt – in unserem Fall das Teilchen – seine Beschaffenheit nicht verändert.

Drittens: die drei Bewegungsmöglichkeiten, die aus einem bewegten, relativistischem 3-D-Bezugsraum herausführen und in einen anderen sich relativistisch bewegenden 3-D Bezugsraum hineinführen. In diesem Zusammenhang stellt man sich vor, dass auch die schönsten Renaissance-Bildräume von symmetrischen Stadtplätzen und Bühnenlandschaften in einem Universum schweben, in dem es kein ruhiges Bezugssystem gibt.

Die Poincaré-Gruppe gibt die Zahl der Möglichkeiten an, wie man sich die Bewegung eines Objekts durch Raum und Zeit vorstellen kann. Dabei müssen die Eigenschaften des Objekts bzw. des Teilchens gleich bleiben. Die Eigenschaften des Teilchens sind Energie, Impuls und Spin. Die Energie bleibt gleich bei Bewegungen in der Zeit. Der Impuls wird erhalten bei Bewegungen von A nach B in den drei Raumfreiheitsgraden der Raumzeit. Außerdem ergeben sich drei mögliche Richtungen der Raumrotation, die erhalten bleiben bei Überführungen von einem Beobachtungsraum in einen anderen. Das entspricht den sich erhaltenden Richtungen des so genannten „Spin“. Sie entsprechen den Möglichkeiten von Rotationen in der Raumzeit.

Und es wird noch seltsamer, denn jetzt folgt das Argument, das darlegen soll, wie die Raumzeit als vermeintlich „emergentes“ Phänomen mit dem Unraum von Materie und Energie korreliert, kurz: wie sie mit dem CFT-Raum der Quanten korreliert. Das Argument lautet: einer starken Verschränkung der Quanten im CFT-Raum (im Nicht-Raum) entspreche das Phänomen der „Nähe“ im AdS-Raum (im „räumlicheren“ 4D-Raum). Mit anderen Worten: in der Raummetaphorik - der „spatiorum immutatio“ - ist die 2Sphäre der Metaphorator des CFT-Unraums der Quantenverschränkung, der als Metaphorand fungiert. Die offene Kugel, die von der 2Sphäre begrenzt wird, steht für den AdS-Raum, der dem Einsteinschen 4D-Raum und damit unserem Erfahrungsraum ähnelt. In dieser Metapher enthält die 2Sphäre alle Punkte der von ihr umschlossenen offenen Kugel in zusammengepresster Form à la Hologramm. Somit stehen die Punkte der offenen Kugel metaphorisch für den Raum im Sinne unseres Erfahrungsraums (Ähnlichkeit mit dem Einsteinschen 4D-Raum), der allerdings eine Illusion ist aus der Sicht des Universums, das von der Quantenverschränkung beherrscht wird. Die Punkte auf der 2Sphäre stehen metaphorisch für die Realität des Universums, die eine Quantenrealität ist. Die Raumgrenze der offenen Punktmenge der „offenen Kugel“ ist die 2Sphäre, deren Punkte eine geschlossene Menge bilden. Diese 2Sphäre markiert demnach die Scheidewand zwischen dem Universum und dem Raum. Anders ausgedrückt: sie ist so etwas wie die Scheidewand zwischen Existenz (Quantenrealität) und Konzept (Bild vom Raum).

Resümee: Hier ist eine geometrische Tropensprache entwickelt worden, die an eine Rhetorik der wuchernden Metaphern erinnert. Die alten Griechen sprachen in solchen Fällen von einer Rhetorik des „Asianismus“. Die Schlussfolgerung, die von den Physikern aus dieser Metaphorik der Konzepte der Konzepte gezogen wird, ist die These, der Raum sei ein Emergenzphänomen, dem etwas anderes vorangehe.

An dieser Stelle werden wir auf den deutlichen Unterschied zwischen der metaphysischen Emergenzbehauptung (Leben) und der physischen Emergenzbehauptung (Raum) aufmerksam. In der modernen Metaphysik sind nur die Lebewesen emergent, und nur sie haben Existenz. In der neueren Theorie einiger Physiker dagegen ist der Raum emergent. Aber weil Raum Konzept und nicht Realität ist, kann er keine Existenz haben. Kann er dennoch im metaphysischen Sinne zu den Emergenzphänomenen gerechnet werden? Wenn es der Physik erlaubt ist, derartig komplizierte Raumkonzepte zu entwickeln, denen trotz ihrer theoretischen Akribie bis jetzt keine Realität entspricht, weil die fraglichen Raumtheorien noch nicht durch Experimente bestätigt wurden, - wenn dies den Physikern erlaubt ist, dann ist es auch den Kulturwissenschaftlern erlaubt, ihre eigenen Methoden des Raumverständnisses zu entwickeln, und die sehen so aus:

Entstehung von innen und außen = Entstehung von Existenz

Ich fange noch einmal da an, wo ich bereits mit den ersten Sätzen der ersten Seite angefangen habe: „Den Raum an sich gibt es nicht. Raum ist nicht einfach da. Er ist nicht real vorhanden, weder in der Landschaft, noch auf der Erdoberfläche, noch im Weltall.“

Raum ist nicht Realität sondern Konzept. Der Raum, wie er seit der Renaissance in Gemälden und Fotografien dargestellt wird, ist eine mathematische Konstruktion, die von den Designingenieuren des italienischen Humanismus entwickelt wurde.

Die gemalten Räume in den gerahmten zentralperspektivischen Bildern sehen so aus wie der Blick durchs Fenster. Und weil die Natur so aussieht wie der Blick durchs Fenster, glauben die Historiker und Kunsthistoriker, die Erfinder des Perspektivraums verdankten ihre Bildvisionen der Naturbeobachtung. Aber so ist es nicht. Die Erfindung der Zentralperspektive ist ein Ereignis der Mathematikgeschichte. Sie ist ein Schritt in der Entwicklungsgeschichte der mathematischen Räume. Diese Entwicklung führt vom Raum der Zentralperspektive zum Raum der Analytischen Geometrie, zu den Räumen von Infinitesimal- und Differentialrechnung, und schließlich zu den mehrdimensionalen Räumen, in denen die Ereignisse der Quantenmechanik dargestellt werden.

All diese Räume sind visuelle oder hypervisuelle Darstellungsmittel. Mit anderen Worten: Sie sind Medien der Menschendarstellung und der Natur- und Technikdarstellung. Das gilt sogar für das Raumarrangement jener legendären camera obscura mit zwei Schlitzen, mit deren Hilfe die Wege beobachtet werden, die das Licht zurückgelegt, wenn es auf eine undurchsichtige Wand stößt, in der sich nur zwei Durchgangsmöglichkeiten befinden. Ich beziehe mich hier auf die berühmten Spaltexperimente, mit deren Hilfe man die Überlagerung des Teilchen- und Wellencharakters der Quanten vorführen kann.

Dennoch existiert der Raum. Es gibt ihn in der Realität. Aber es gibt ihn nur in Lebewesen. Raum existiert nur auf den Grenzen, die Einzeller, Pflanzen, Tiere und Menschen vom Rest des Universums unterscheiden. Mit anderen Worten: Raum existiert nur auf der Zellmembran und auf der Haut. Bedeutet das, wir haben es in Gestalt der Haut und der Zellmembranen mit einer Materialisierung des Konzepts von der Scheidewand zu tun? Von der Scheidewand zwischen einem raumlosen Universum und dem Raum? Von jener Scheidewand, die in der Welt der spatiorum immutatio als Metapher einer 2Sphäre erscheint, auf deren Innenseite sich der Raum der Bilder und Raumkonzepte befindet, und auf deren Sphärenhaut sich das raumlose Universum befindet?

Raum existiere nur auf der Zellmembran und auf der Haut der Lebewesen. Das führt uns zurück zur Definition des Metaphysikers Peter van Inwagen, der sagt, die einzigen zusammengesetzten Objekte mit Existenz seien die Lebewesen. Es führt uns ebenfalls zurück zur Ergänzung dieser Definition, die besagt: Existenz ist gekoppelt an das Phänomen der Emergenz, und die einzigen emergenten Phänomene seien die autopoietischen kybernetischen Systeme, und Lebewesen seien autopoietische kybernetische Systeme.

Die ersten Lebewesen waren Einzeller. Sie hatten bereits die Eigenschaften „Variation/Selektion/Reproduktion“. Das bedeutet: es gab von ihnen verschiedene Varianten, die miteinander konkurrierten. Das Obsiegen in diesem Konkurrenzkampf entschied darüber, welche Varianten überlebten und welche ausstarben. Dieser Effekt des Überlebens wird – darauf haben wir uns seit Darwin geeinigt - „Selektion“ genannt. Überleben der Erfolgreichen bedeutete: Reproduktion. Die Reproduktion bestand daraus, dass sich die einzelligen Individuen ständig verdoppelten.

Die Einzeller verfügten über eine intrinsische Organisationsform, die es ihnen ermöglichte, nach einem Bauplan Moleküle, die sich in der Nähe befanden, mit sich zu verbinden wie Baumaterial. Auf diese Weise produzierten sie neue Einzeller, die genauso waren wie sie selbst. Sie fertigten Duplikate von sich selbst an. Sie waren Duplikatoren, und das sind sie bis heute geblieben: die Einzeller und die Zellen in unseren Körpern.

Was bedeutet in diesem Zusammenhang „mit sich verbinden wie Baumaterial“? Es bedeutet: in das eigene Innere holen. Und wie definiert sich „das eigene Innere“? Es definiert sich im buchstäblichen Sinne durch eine Raumgrenze. Diese Raumgrenze muss eine materielle Barriere sein. Und der Einzeller muss die Fähigkeit haben, zu kontrollieren, was er hereinlässt und was nicht.

Weil der Einzeller nicht nur Baumaterial braucht sondern auch arbeiten muss, um das Baumaterial zu verwerten, braucht er auch Energie. Die befindet sich auf materiellen Energieträgern, die der Einzeller ebenfalls durch die Barriere hereinlassen muss. Weil beim Energieverbrauch Abfall entsteht, – das sind die Energieträger, denen die Energie entzogen wurde –, muss der Einzeller auch imstande sein, Molekularteilchen, alias Abfall, durch die Barriere nach außen zu befördern.

Bis hierher handelt es sich um eine sehr vereinfachte Darstellung des Phänomens „Stoffwechsel“. „Stoffwechsel“ ist übrigens das Kriterium, dass Viren von Lebewesen unterscheidet. Viren sind zwar Selbstduplikatoren, haben aber keinen eigenen Stoffwechsel.

Sogar in dieser lückenhaften Darstellung des Stoffwechselphänomens wird eine fundamentale Einsicht erkennbar. Sie lautet: Ohne das kontrollierte Einlassen und Ausscheiden durch eine Barriere funktioniert bei den Lebewesen gar nichts. Dieses Prinzip benennen die Biologen mit den Worten „Semipermeabilität“ (Halbdurchlässigkeit) und „Kompartimentierung“. Das Wort „Semipermeabilität“ kann als Definition der zellulären Raumgrenze, der Zellmembran fungieren.

Die Entstehung der Zellmembran ist ein alles veränderndes Ereignis in der Geschichte des Universums. Denn mit der Membran entsteht erstens das emergente Phänomen „Lebewesen“, das einzige zusammengesetzte Objekt, dem Existenz innewohnt, und zweitens die generative Tiefenstruktur für jede Art von Raum. Es entsteht das generative Prinzip des Raums. Denn diese Tiefenstruktur ist die lebendige Wand, die den Unterschied von innen und außen in die Welt bringt. Diese Wand muss sich um etwas rundherum schließen, damit sie etwas einschließen kann. Den Unterschied von innen und außen kann es, wie man nach einigem Nachdenken herausfindet, nur geben, wenn mit der Erzeugung der Wand, die sich rundum schließt, die Erzeugung der kontrollierten Öffnung verbunden ist.

Die Tiefenstruktur des Raums sei somit eine Struktur, die an eine Grenze gekoppelt ist, - eine abgrenzende 2Sphäre, die aus sich selbst heraus wächst, die wie eine Pflanze wächst, - eine 2Sphäre, die autopoietisch ist, die nichts sieht und die von nichts und niemand gesehen wird, außer von einem jenseits von allem schwebenden göttlichen Auge. Und weil es im Diesseits nirgendwo ein derartiges Auge gibt, kann das Phänomen „Raum“ zunächst weder gesehen noch dargestellt werden. Auch ein umgebender Raum, in dem sich die aus sich selbst wachsende Grenze befindet, kann für die Entstehungszeit der Einzeller nicht von außen erkannt werden. Selbst nachträglich kann ein derartiger Raum nicht erkannt werden.

Die Raumgrenze des Einzellers erzeugt zwar den Unterschied von innen und außen, sieht ihn aber nicht. Sie nimmt ihn nur propriozeptiv wahr. Sie nimmt ihn wahr im Modus „Funktionieren oder Störung“. Es funktioniert, solange die Semipermeabilität funktioniert und die Zelle überlebt. Die Störung tritt ein, wenn die Semipermeabilität versagt und toxische Substanzen eindringen, oder wenn keine Energie eindringt.

Die Eigenwahrnehmung der Raumgrenze koinzidiert mit ihrem Überleben. Das bedeutet im metaphysischen Sinne: die Raumgrenze „existiert“.

Lange bevor es den Raum als Vorstellung gibt, gibt es nur das materielle Gebilde, das den Innen-Außen-Unterschied durch Hereinlassen, Abweisen und Ausscheiden erzeugt. Dies ist die Basisfunktion des Raums und des Lebens: Hereinlassen, Abweisen und Ausscheiden. Und an diese Funktion ist die Emergenz von Innen und Außen geknüpft. Die Emergenz von Innen und Außen ist die Verheißung, die ankündigt, dass es irgendwann in diesem raumlosen Universum als Planungs-, Orientierung- und Navigationshilfe das „Konzept“ des Raums geben wird.

Fazit: Der erste Schritt in einer schicksalhaften Kette von Ereignissen der Raumgeschichte ist die Hervorbringung der Unterscheidung „Innen/Außen“ mit der Funktion der materiellen Durchdringung.

Die Unterscheidung von innen und außen ist ein im strengen Sinne „emergentes“ Phänomen.

Die Raumgrenze – Membran oder Ektoderm – erinnert assoziativ an den metaphorischen Raum einer 2Sphäre, die – selbst raumlos – alle Quanteninformationen für alle Punkte innerhalb der offenen Kugel enthält, die von der 2Sphäre umschlossen wird. Die offene Kugel enthält die Informationen für einen vorstellbaren 3-D-Raum. Die Grenze zwischen der offenen Punktmenge der Kugel und der geschlossenen Punktmenge der 2Sphäre ist eine Analogie zum Konzept der Scheidewand, die im Titel erscheint, und die den Raum vom raumlosen Universum trennt. Was Membran, Haut und „innen/außen“ der Lebewesen betrifft: das raumlose Universum befindet sich außen.

Innen und Außen als „Konzept“

Es geht weiter mit einer genaueren Betrachtung der Membranen und der Varianten, in denen sie sich materialisieren. Viel später als die ersten Einzeller entstanden spezialisierte Zellen in vielzelligen Lebewesen. Unter den spezialisierten Zellen sind zweifellos die Neuronen, die Nervenzellen, die interessantesten. Neuronen sind, embriologisch betrachtet, Weiterentwicklungen und Spezialisierungen von Ektodermzellen. Das stellt einen Bezug zum Phänomen der Grenze zwischen innen und außen her, – mit anderen Worten: es stellt einen Bezug zur autopoietischen 2Sphäre her.

Durch die Neuronen beginnt das Phänomen des Weiterleitens eines Impulses in die Existenz einzutreten. Neuronen erinnern uns Angehörige einer Technikkultur an elektrische Kabel, die einen elektromagnetischen Impuls von einem Ort zum anderen leiten. Kabel sind jedoch Artefakte. Neuronen aber wachsen aus sich selbst, wie die Membranbarrieren, die zum ersten Mal den Unterschied „Innen/Außen“ erzeugten.

Neuronen, das würde ein Geometer sagen, sind eigentlich topologische Kugeln, die, wie Würste, in die Länge gezogen sind und – wie die Wurst – zwei Enden haben. Deshalb die Ähnlichkeit mit Leitsystemen wie Kabeln und Rohren. Neuronen sind allerdings an den Enden geschlossen. Deshalb sind sie, topologisch betrachtet, in die Länge gezogene Kugeln. Genauer gesagt: Sie sind offene Kugeln, die von 2Sphären, alias Membranen, umschlossen werden. Mit dieser ihrer Form leiten sie etwas von einem Ende zum anderen. Aber, was sie leiten, ist kein rein elektromagnetischer Impuls wie im Elektrokabel. Es ist vielmehr eine dominosteinartige Ionenbewegung, die sich entlang der äußeren Neuronenmembran entwickelt, vom einen Ende zum anderen wandert, und als wichtigen Effekt einen elektrischen Spannungsabfall im Innenraum der 2Sphäre erzeugt, der sich phasengleich mit dem ionengelenkten Dominoeffekt an der Membranwand entlangbewegt, und schließlich am anderen Ende der in die Länge gezogenen Hohlform ankommt. Dort gibt der Spannungsabfall einen Impuls weiter an die Verbindungen, die ein Neuron an das nächste Neuron koppeln. Die Verbindung erzeugt die Weiterleitung des Impulses im nächsten Neuron, das dann auf dieselbe Weise funktioniert.

Aber wie kommt diese gerichtete Bewegung zustande, eine Bewegung, die im Innenraum einer rundum abgeschlossenen Zelle abläuft, die durch einen Impuls von außen ausgelöst wird, und die dann einen weitergelenkten Impuls nach außen abgibt? Am Anfang muss dabei ein Impuls stehen, der von außen nach innen gelangt, und am Ende muss ein Impuls stehen, der von innen nach außen gelangt. Das ist der Unterschied zur Semipermeabilität. Bei der Semipermeabilität muss Materie die Membran passieren. Beim Leitungseffekt des Neurons muss ein immaterieller Impuls die Membran passieren.

Wie wird das Problem der Impulspassage durch eine Membranwand und der Weiterleitung dieses Impulses durch das Innere eines von einer Membran rundum abgeschlossenen Raums gelöst?

Dieses Problem wird gelöst durch eine Kaskade von Membranpassagen entlang der Raumhülle des Zellinnenraums, eine Kaskade von Membranpassagen, die von einem Ende zum anderen wandert. Und es ist diese sequenzielle Struktur der dominoartigen Membranpassagen, die es in sich hat. Denn jede Membranpassage wird durch die spukhafte Nichtlokalität der Quantenmechanik ermöglicht. Die Membran ist nämlich dicht und hat keine Türen. Um sie zu passieren braucht es eine Entität mit der Fähigkeit eines „passe muraille“, eines „Der-Mann-geht-durch-die-Wand-Wesens“.

Im einzelnen sieht das folgendermaßen aus: Außerhalb der Neuronen-Membranwand befinden sich mehrheitlich Kalium-Ionen. Ionen sind Materieteilchen, die elektromagnetisch positiv oder negativ geladen sind, und die sich deshalb, aufgrund der elektromagnetischen Anziehung zwischen den positiven und negativen Polen, in Richtung der jeweils entgegengesetzten Ladungen bewegen. Deshalb der Name „ion“, was auf Griechisch „wandernd“ bedeutet. Die Kalium-Ionen, die positiv geladen sind, empfangen einen elektromagnetischen Impuls, der sie veranlasst, ihren Zustand vom Status des Teilchens in den Status einer elektromagnetischen Welle zu verwandeln. Dabei handelt es sich um den berühmten Quanteneffekt, mit dessen Hilfe Teilchen sich jederzeit in Wellen und Wellen in Teilchen verwandeln können. In der Wellenform haben dann die Teilchen- Wellenentitäten die Eigenschaften der Superposition (Überlagerung, entanglement), der Nonlokalität und der Welleninterferenz. Letztere kann konstruktiv und destruktiv sein. „Konstruktiv“ werden Interferenzen genannt, wenn Wellenberge mit Wellenbergen zusammenfallen und Wellentäler mit Wellentälern und wenn sie einander auf diese Weise verstärken. Destruktiv sind sie, wenn Wellenberge Wellentälern gegenüberstehen, und wenn sie sich auf diese Weise gegenseitig aufheben. Im einen Fall verstärkt sich die jeweilige Ladung durch Verstärkung der Wellenamplituden, die sich verdoppeln. Im anderen Fall verstärkt sich die gegenteilige Ladung durch Aufhebung der eigenen Wellenamplituden.

Die faszinierenden Eigenschaften, die durch die Ambiguität „Teilchen/Welle“ entstehen, sind die Nonlokalität und die Kohärenz eines Globalverhaltens, das nicht an einen einzigen Ort gebunden ist. Mit dieser Eigenschaft „passiert“ das Ion die Zellmembran, indem es zugleich drinnen und draußen ist. Es beeinflusst durch die Welleninterferenz den Ladungszustand auf der anderen Seite. Dort befinden sich normalerweise mehrheitlich Kalziumionen, die negativ geladen sind. Durch den Passe-Muraille-Effekt (Mann-geht-durch-die-Wand-Effekt) der positiv geladenen Kaliumionen, der von außerhalb der Zellwand kommt, entsteht dann durch destruktive Interferenz ein Spannungsabfall im Inneren der Zelle. Denn plötzlich befinden sich negativ geladene Kalziumionen und durch Nonlokalität im Inneren der Zelle ebenfalls präsente positive Kaliumionen im Gleichgewicht, so dass der Spannungsunterschied zwischen der Innen- und Außenseite der Membran für kurze Zeit entfällt.

Hinzukommt ein höchst kunstvoller Nebeneffekt: Durch die Wellenschwingung geben die Kaliumionen draußen, außerhalb der Membran, Wärme an die Umgebung ab, was zu einer Abkühlung dieser Passe-Muraille-Kalium-Ionen führt. Diese Kühlung ermöglicht es ihnen, den Superpositionszustand länger aufrecht zu erhalten, sprich, länger die Zellwand zu „durchdringen“. Mit anderen Worten: durch die Abkühlung gelingt es ihnen, das berühmte Kollabieren des Wellenzustands für einige Zeit aufzuschieben. Sobald dann dieser Zustand der nonlokalen Überlagerung durch das Kollabieren aufgehoben wird (bedingt durch die umweltabhängige Wiedererwärmung und den dadurch ausgelösten Verlust des Wellenzustands, der Überlagerung und der Passe-Muraille-Gleichzeitigkeit von innen und außen), sobald dieser Zustand wieder aufgehoben wird, verschwindet der Spannungsabfall zwischen Innen- und Außenseite der Zellwand wieder. Doch dieser Vorgang erzeugt einen Impuls, der die nächsten Kaliumionen außen an der Zellwand trifft, so dass sich der gleiche Vorgang sequenzartig wiederholt und an der Zellwand entlangwandert. Das ganze funktioniert wie ein Klipp-Klapp-Mechanismus, bei dem das letzte „Klapp“ das nächste „Klipp“ außen an der Zellwand auslöst, und bei dem jedes „Klipp“ die Pseudodurchdringung und den Spannungsabfall auslöst. Auf diese Weise emergiert das Phänomen des Leitungseffekts. Dieser Leitungseffekt führt vom einen Ende zum anderen in der schlauchartig verlängerten topologischen Kugel, die „Neuron“ genannt wird.

Es wird erkennbar, dass es neben der ersten Eigenschaft der Emergenz von Innen und Außen, die mit dem ersten Erscheinen der Lebewesen „Einzeller“ zusammenfällt, und die aus der Semipermeabilität, mit anderen Worten aus dem selektiven Einlassen und Ausscheiden von Materieeinheiten besteht, – dass es neben dieser Eigenschaft des Innen-Außen-Phänomens noch eine zweite Eigenschaft des Innen-Außen-Phänomens gibt. Es ist die Praktik der immateriellen Passage durch die Membran. Sie wird ermöglicht durch die Klipp-Klapp-Kaskade der Quanten-Hyperlokalität. Während es sich bei der Semipermeabilität um die Passage von Materie handelt, besteht die zweite Variante des Innen-Außen-Phänomens aus der Passage eines immateriellen Impulses, der durch das Prinzip der Überlagerung von zwei Orten ermöglicht wird und sich klipp-klapp-artig vorwärtsbewegt.

Mit anderen Worten: In der ersten Variante geht es um ein Innen und Außen mit Objektpassage. In der zweiten geht es um Innen und Außen mit Impulspassage. Im ersten Fall geht es um die Bewegung von Objekten, im zweiten um die Bewegung als Konzept.

Folgendes ist festzuhalten: An einem entscheidenden Entwicklungspunkt in der Evolution der Natur entsteht die Voraussetzung für die Genese der Vorstellung des umgebenden Raums. Es ist die Autopoiesis des biologischen Kanals, der immaterielle Impulse weiterleiten kann. Erst mit dieser Innovation ist ein Lebewesen imstande, sensorielle Scanner zu entwickeln, deren Input an eine Zentralregion weitergeleitet werden kann, um dort andere Signale und die Erinnerung an vergangene Signale zu berühren. Am phylogenetischen Ursprungspunkt der möglich gewordenen Weiterleitung eines Impulses, der von etwas ausgeht, was sich außerhalb der Membran befindet, steht somit der Quanteneffekt der Hyperlokalität, bei dem etwas sich nicht entweder an dem einen Ort A oder an dem anderen Ort B befinden muss, - mit anderen Worten bei dem sich etwas nicht entweder außen oder innen befinden muss -, sondern bei dem etwas gleichzeitig an den Orten A und B sein kann, – mit anderen Worten: bei dem etwas gleichzeitig innen und außen sein kann. Der Quanteneffekt bewegt sich nicht in einem Raum von A nach B. Er fasst vielmehr A und B in der Gleichzeitigkeit einer raumlosen Kohärenz zusammen.

Am Ursprung des Konzepts vom umgebenden Raum steht somit eine Natur, die sich anders verhält als es das cartesianische Konzept vom umgebenden Raum vorsieht. Die nicht-räumliche Überlagerung generiert die Weiterleitung des Impulses, den ein von der Außenwelt reflektiertes Photon auslöst. Das Medium der Impulsweiterleitung ist die räumlich lineare Kaskadenbewegung der Ladung von Natriumionen, die sequentiell einen Spannungsabfall weitergeben, der durch das per Quanten-Bilokalität ermöglichte Pseudoeindringen von entgegengesetzt geladenen Kaliumionen bewirkt wird. Der Leitungseffekt besteht somit aus dem kettenartigen Spannungsverlust entlang der Membranwand, weitergeleitet dadurch, dass ein Natriumion nach dem anderen die lokale Ladungshoheit an die spukhaft vorhandenen, entgegengesetzt geladenen Kaliumionen verliert. Dabei sind Natriumionen Materieteilchen, die in der Membraneinkapselung gefangen sind. Die Eindringlinge dagegen sind nicht materielle nicht-räumliche Spukwesen, die im übergreifenden Nicht-Raum des Wellenstatus durch Wände gehen können.

Das Photon geht von beleuchteter Materie der Außenwelt aus, um sich dann ... nein, nicht, um sich von der Außenweltmaterie durch den Raum zum Scanner, der Retina im Auge zu bewegen. Nein: Es verlässt mittels des Wellenstatus den umgebenden, scheinbar vorhandenen 3D-Raum, taucht in den Nicht-Raum der Quantenrealität und der allgegenwärtigen, raumlosen Existenz des Universums ein, und befindet sich an dem „beleuchteten“ Materieobjekt, von dem es scheinbar kommt, und an der Augenretina, bei der es scheinbar ankommt, zugleich. Dann löst es den Leitungsvorgang im Neuron aus, in dem von einer Außenhaut begrenzter, organischer Innenraum überbrückt wird. Der Leitungsvorgang besteht aus einer Kaskade von nacheinander erfolgenden lokalen Spannungsverlusten, der sich manifestiert an Materieteilchen, den Natriumionen, die aufgrund ihres Materiecharakters im Neuron eingekapselt sind und die Richtung des länglich gestreckten Zelleninnenraums weitergeben müssen. Die Retina ist mit der Außenmaterie in der Gleichzeitigkeit der universellen raumlosen Existenz verschränkt und löst dann im Axon des Neurons eine nicht gleichzeitige, räumliche Kaskadenbewegung aus. Die macht den weitergeleiteten Retina-Impuls durch die Transportarbeit dem Vergleich mit anderen Impulsen und der Erinnerung an andere Impulse zugänglich. Auf diese Weise entstehen durch fortschreitende Evolution nach einigem Zugewinn an Komplexität Konzepte von Objekten. Sie müssen auf diese Weise entstehen, weil es in der Realität der raumlosen Existenz keine Objekte gibt. Hier müssen wir an die mereologischen Nihilisten denken.

Konzepte aber extrahieren etwas aus Umweltkontexten. Bei der Weiterleitung der Impulse, die von etwas aus der Umweltmaterie ausgehen, und beim Vergleich mit anderen gleichzeitigen und vergangenen Impulsen schält sich durch die Häufigkeit von Wiederholungen heraus, wie typisch der jeweilige Sensor-Input und die jeweilige Kombination mehrerer Sensorinputs für das entstehende Konzept ist. Denn Konzepte können einander beim Scan eines gegebenen Kontextes überlagern. Dann gibt es im System so etwas wie verschiedene Meinungen, und dann entscheidet allein die größere Typikalität. Das bedeutet: es wird entschieden, was öfter vorkommt und was somit in Zukunft bekannter und relevanter sein wird.

In den noch nicht konzeptuell gefilterten Kontexten der Umwelt herrscht die Existenz des raumlosen Universums. Wie wir sehen, ist uns das raumlose Universum sehr nahe. Es ist mikroskopisch nahe. Es ist mikroskopisch nahe, und zugleich teleskopisch fern.

Konzepte können einander überlagern, wenn sie auf Kontexte bezogen werden. Damit erinnert der Konzeptraum an die Gleichzeitigkeit des raumlosen Universums und an die Ionenimpulse beim Passieren der Axonmembran, bei dem die raumlose Überlagerung für einen „Geh-Durch-Die-Wand-Effekt“ genutzt wird.

Das Konzept, das in der raumlosen, kontextuellen Vielfalt der Umweltmaterie aufgrund seiner Typikalität herausgefiltert wird, und als Resultat am Ende der neuronalen Leitung und der neuronalen Vergleichsarbeit steht, ist somit so uneindeutig wie die Raumposition des als Welle schwingenden Ions an der Axonwand. Es ist so uneindeutig und fließend wie die in ständigem Fluss befindlichen Außenweltkontakte. Die Wellenschwingung erzeugt durch die Kombination mit der Rundum-Schließung der Zelle und durch das in die Länge Ziehen der Zellkugel das Phänomen der Leitung. Das Phänomen „Leitung“ entsteht zum Zweck der Verbindung von Leitungen.

Der Kompartiment-Effekt der Zelle erzeugt das Phänomen der Richtung durch die Längsausrichtung. Und der Treffpunkt mit anderen Leitungsenden erzeugt einander überlagernde Konzepte, bei denen die Typikalität, d.h. die Häufigkeit und das Vorherrschen in bestimmten Kontexten die Annahme vom Vorherrschen eines bestimmten Außenraum-Konzepts bewirkt.

Es sind somit das Phänomen der Einkapselung in einer verlängerten topologischen Kugel und die Möglichkeit, durch die raumlose Superposition die Einkapselung gleichzeitig zu erhalten und aufzulösen, – es sind diese beiden Funktionen die das Phänomen der Leitung hervorbringen. Durch die Leitung wird der Innenraum des Lebewesens zu einem Beziehungsnetz von Verbindungen. Durch die Leitung entsteht in der Evolution zum ersten Mal die Realität des Phänomens der Bewegung von A nach B. Die Verbindungen der Leitungen im „Innen“ des Innen-Außen-Systems „Organismus“, diese vielen „Leitungen, die durch das Rückenmark, den Sehnerv, dienExtremitäten etc. verlaufen, sie existieren real. Sie sind real, nicht abstrakt wie die Koordinaten des cartesianischen Raums der analytischen Geometrie. Das „Wesen“ ihrer Existenz ist die Membran, die den Bezugsraum buchstäblich „definiert“, in dem die Leitungen ihre Verbindungen herstellen. Mit anderen Worten: ihr Bezugssystem ist die Emergenz von Innen und Außen.

Fazit: die erste notwendige Eigenschaft des emergenten Phänomens „Innen/Außen“ ist die Penetration von Materie durch die Membran und das Festhalten von Materie im Inneren der Membran. Das ist der Stoffwechseleffekt.

Die zweite Eigenschaft des Innen-Außen-Phänomens ist die raumlose Überwindung der räumlichen Zellmembran, d.h.: die hyperlokale Aufhebung des Innen-Außen-Effekts. Erst die Durchdringung der Membran ohne materielle Öffnung ermöglicht das Scannen und Weiterleiten von Außenimpact. Erst das Weiterleiten zu einer Vergleichszentrale ermöglicht den Vergleich von akutem Außenimpact mit der Erinnerung an früheren Außenimpact. Erst dieser Vergleich erzeugt das Konzept der Spannung zwischen einem Außen als räumlicher Konstanz und einem Außen als raumlosem kontextuellem Fluss.

Die ständige Interaktion zwischen einem konzeptuellen gleich bleibenden Außenraum und einer diesen Außenraum übergreifenden raumlosen Existenz ist so etwas wie der ständig summende Generator der Welt und des Bildes dass wir von ihr haben. In der raumlosen Existenz des nahen und fernen Universums herrscht das Prinzip der immutatio rerum, der immutatio locorum und der verborum- et spatiorun immutatio. Mit anderen Worten: es herrscht das Prinzip der Tropen-Sprache und der Raum-Metaphorik.

Innen/Außen in Innen/Außen in Innen/Außen

Doch wie können Raum und Zeit durch Kultur entstehen? Denn wie wir sehen: das raumlose Universum existiert und ist uns ganz nahe. Es ist uns mehr als „nahe“.

Zurück zu Haut, Ektoderm und Membran: Alles, was von Membranen oder Ektodermen, den Weiterentwicklungen der Membranen, eingeschlossen wird, sei „Raum ersten Grades“ genannt.

Die Verwendung des Begriffssystems der Gradeinteilung für die Klassifizierung von Raumformen kündigt an, dass auf die Darstellung der Räume ersten Grades weitere Gradabstufungen von Raumfamilien folgen sollen, zum Beispiel Räume zweiten und dritten Grades.

Die Funktionen der Räume ersten Grades sind nach der Lektüre der beiden ersten Abschnitte hinreichend bekannt. Es geht um den Einkapselungseffekt - von Manfred Eigen „Kompartimentierung“ genannt - ohne den das kybernetische System „Lebewesen“ nicht funktionieren kann. Die Haut und das Fell, das Gefieder und der Schuppenpanzer schützen die Organismen vor Kälte und Verletzung. In der Haut, alias Ektoderm, befinden sich wie in der Zellmembran Vorrichtungen, die das Einlassen und Ausscheiden von Materie ermöglichen: Mund, Nase, Urogenitalsystem, After, Schweißdrüsen. An einigen Stellen befinden sich in der Hauttextur spezialisierte Zellen, die Signale aus der Umwelt aufnehmen können durch Berührung, schwingende Luft, Gasausdünstungen und Photonen aus dem Quantenraum. Auch die Neuronen sind evolutionäre Weiterentwicklungen von Zellen des Ektoderms.

Räume zweiten Grades seien alle Artefakte genannt, die von Menschen erzeugt werden, um die Funktionen der Räume ersten Grades zu verstärken. Der Schutz vor Kälte, Feuchtigkeit und Verletzung wird durch Kleidung aller Art verstärkt. Die nichtmenschlichen Tiere sind durch ihre jeweils spezialisierten Ektoderme bestimmten Umwelten angepasst, in denen sie ohne Verstärkungseffekte überleben können. Diese Umwelten können sie allerdings nicht verlassen. Die Eisbären können nicht im Regenwald leben, und die afrikanischen Wildhunde können nicht im sibirischen Permafrostgebiet leben. Das gilt nicht für Menschen. Verglichen mit den Tieren sind sie nackt. Allerdings besitzen sie die Fähigkeit, ihre Artefakträume zweiten Grades zu entwickeln. Es sind vor allem ihre Architekturen, die es ihnen ermöglichen, jedwede Klimazone der Erde zu besiedeln. Die wichtigsten Räume zweiten Grades für die Anpassung an alle Umwelten der Erde sind die Hütten, die Zelte und die Gebäude aus Holz und Stein. Bei letzteren sind es die Wände, durch die eine neue, artifizielle Variante des Unterschieds „Innen/Außen“ in die Realität eintritt.

Kleidung und Behausung sind die Räume zweiten Grades. Sie sind Resultate von Allopoiesis im Gegensatz zu den Räumen ersten Grades, da Zellmembranen und die Ektoderme der Mehrzeller Resultate von Autopoiesis sind. Die Räume zweiten Grades werden von Menschen produziert. Damit gehören sie zur Familie der Artefakte. Ihre Funktion ist die Ausweitung der menschlichen Überlebensfähigkeit auf alle Regionen der Erde.

Bei der Herstellung der Räume zweiten Grades kommen Tektonik und Geometrie ins Spiel. Geschichtete Mauern erreichen die größte statische Stabilität, wenn sie erstens auf euklidisch geraden Grundrissen errichtet werden, und wenn sie zweitens genau senkrecht zum Gravitationszentrum der Erde errichtet werden. Das Lot, das Lineal und die Wasserwaage sind die Werkzeuge, die dabei von Nutzen sind. Aus der euklidisch geraden Ausrichtung der Wände resultieren die euklidischen Wandöffnungen „Fenster“, „Tür“ und „Torbogen“. Auf diese Weise entsteht die euklidische Grundstruktur des Ausblicks in die Welt aus einem euklidisch geraden Rahmen. Es entsteht das Konzept des geometrischen Raumausschnitts, des Bildes, das aus dem raumlosen Kontext des Universums ausgeschnitten wird.

Räume dritten Grades sind Raumgebilde, die Ansammlungen von Behausungen, d.h. von Räumen zweiten Grades, einschließen. Dabei handelt es sich um Fortifikationsarchitekturen, wie zum Beispiel Stadtmauern, mit deren Hilfe Menschen ihre Siedlungen schützen. Diese Art von Räumen gab es bereits während der Spätsteinzeit. Dabei handelte es sich um Erdwälle, die durch Holzpfähle verstärkt waren. Sie sollten Schutz bieten vor Raubtieren und vor allem vor feindlichen Menschenkollektiven.

Man erklärt die Entstehung der ersten Fortifikationsanlagen durch den Ackerbau und die aus dem Ackerbau resultierende Sesshaftigkeit. Die Menschen mussten bei ihren Äckern bleiben. Die Tribalkollektive konnten einander nicht mehr ausweichen wie zur Zeit der Nomadenkulturen.

Ein weiterer Grund für die Entstehung von Fortifikation ist die Bevölkerungszunahme während der Spätsteinzeit. Sie ist auf die Fortschritte des Ackerbaus und der Vorratstechnik zurückzuführen. Aus dieser Entwicklung resultierte eine Verknappung des bewohnbaren Territoriums. Auf diese Weise entstanden Rivalität unter Populationen und das Streben nach Kriegsbeute.

Die Fortifikation ist im Laufe der Bronzezeit und der Eisenzeit immer weiter entwickelt worden. Bereits in der mesopotamischen Kultur waren alle Städte von Stadtmauern umgeben. Die Stadtmauer blieb für lange Zeit die erste Maßnahme bei der Stadtplanung. Das galt bis zur Zeit der Perfektionierung von Artilleriewaffen während der europäischen Neuzeit. Die Fortschritte der Artillerieballistik ermöglichten das Abfeuern von Kanonenkugeln und Granaten aus immer größerer Entfernung. Auf diese Weise wurden Stadtmauern und Bastionen mehr und mehr obsolet. An ihre Stelle traten die verteidigungsfähigen Außengrenzen der Flächenstaaten. Auch sie bilden Räume dritten Grades.

Die kulturelle Entstehung des Raums

Die geraden Linien werden in der Topologie „Kurven“ genannt. Doch das Wort „Kurve“ besagt nicht, ob die Linie gekrümmt oder gerade sein muss. Das Photon, das sich gleichzeitig an A und B im raumlosen Universum befindet, legt vermeintlich den Weg vom beleuchteten Objekt „A“ zum Auge „B“ zurück. Diesen Weg würde man „Orbit“ oder „Kurve“ nennen und dabei an eine Bewegungsbahn denken, ähnlich der Bewegungsbahn eines Gestirns oder eines künstlichen Erdsatelliten.

Als man die zentralperspektivischen Bilder im 15. Jahrhundert erfand, lag es nahe, sich das, was in Wirklichkeit die Bilokalität der Photonen war, als Orbit und somit als Lichtstrahl vorzustellen und diesen Strahl für eine euklidische Kurve und somit für eine sogenannte „Gerade“ zu halten. Denn die euklidischen Geraden waren ja auch als Begrenzungslinien der Gebäude bereits bekannt.

Als Brunelleschi den Florentinern die Prinzipien des zentralperspektivischen, fiktiven, umgebenden Raums erklärte, wählte er als Anschauungsbeispiel das Florentiner Baptisterium. Denn dieses Gebäude eignete sich wegen seines sechseckigen Grundrisses für die Erklärung der Perspektivverkürzungen besser als ein Gebäude mit rechteckigem Grundriss. Im Unterschied zu einer frontalen Fassade, hinter deren Ecken die Seitenwände unsichtbar sind – was bei einem rechteckigen Grundriss der Fall wäre – , gibt es beim sechseckigen Grundriss außer der Frontalwand, auf die der Blick fällt, zwei flankierende, schräg verlaufende Seitenwände, die auch in der Frontalansicht erscheinen. Sie bilden mit den notwendigen Perspektivverkürzungen, die sich aus den schräg verlaufenden Grundrisslinien ergeben, eine Herausforderung für die Perspektivkonstruktion.

Brunelleschis Demonstrationsgerät funktionierte folgendermaßen: Er hatte seitenverkehrt eine Perspektivdarstellung der Hauptansicht des Baptisteriums mit seinen beiden schrägen Wänden gemalt. Er hatte das Bild auf eine recht dicke Holzplatte gemalt. Dort, wo sich das Hauptportal des Baptisteriums befand, in Augenhöhe des Betrachters, befand sich ein Loch in der Holzplatte. Das Loch hatte die Form einer konischen, abgeschnittenen Pyramide. Die Platte wurde vor dem Baptisterium aufgestellt. Der Proband der Demo sollte durch das Loch hindurchblicken. Die große Eröffnung des Konus befand sich auf der Seite des Probanden, die kleine Öffnung auf der Seite des Baptisteriums. Das Loch fokussierte den Blick wie eine primitive Linse. Wenn der Proband hindurchschaute, sah er das Baptisterium wie auf einem Bild. Wenn man nun einen Spiegel in der richtigen Entfernung zwischen Holzplatte und Gebäude hielt, sah der Proband die gespiegelte Rückseite der Holzplatte, auf die das Bild des Baptisteriums gemalt war. Der Proband konnte dann das Bild bzw. Spiegelbild nicht vom realen Baptisterium unterscheiden. Das sollte demonstriert werden: die Realität war wie ein Bild.

Brunelleschis Demonstrationsgerät befindet sich heute im Museo di Storia della Scienza.

Leon Battista Alberti hatte in seinem Traktat „De pictura“ das mathematische Schema der perspektivischen Raumkonstruktion dargelegt. Wer von beiden, Brunelleschi oder Alberti, der eigentliche Erfinder der Zentralperspektive war, ist nicht bekannt.

Kurz nach dieser Zeit – Albertis „De pictura“ erschien in den dreißiger Jahren des Quattrocento – entstanden wunderschöne Gemälde, in denen der Raum perspektivisch korrekt dargestellt war. Eines der schönsten ist das Bild „Die Hochzeit Mariens“ von Perugino. Im Hintergrund steht ein runder Tempel auf sechseckigen Grundriss. Er erinnert an das Baptisterium. Peruginos Schüler war Raffael. Auch er malte das Bild von der Hochzeit Mariens. Er malte es fast genauso wie sein Lehrer. Auch auf Raffaels Bild ist im Hintergrund, im selben Abstand wie bei Perugino, eine Rundtempel zu sehen. Doch dieser Rundtempel hat einen achteckigen Grundriss. Raffael hatte einen höheren perspektivischen Schwierigkeitsgrad gewählt.

Diese Ereignisse, die Theoriearbeit von Brunneleschi und Alberti, sowie die praktische Umsetzung durch die Maler Raffael, Leonardo und Michelangelo, und vieler anderer, erzeugten den umgebenden Raum. Sie erzeugten den nämlichen umgebenden Raum, der die Basisvorstellung für Einsteins 4D-Gravitationsraum und für den Anti-de-Sitter-Raum bildet, jener Räume, die es uns heute so schwer machen, zu akzeptieren, dass sich die Teilchen an zwei Orten gleichzeitig aufhalten.

Der Raum von Alberti und Brunelleschi, der Raum diesseits der Grenze zwischen Raum und raumlosem Universum, ist ein kulturelles Konzept, keine Naturerscheinung. Der umgebende Raum war von Anfang an Resultat von mathematischer Definition. Seine Definitionsmerkmale wurden im 17. Jahrhundert von Descartes aufgegriffen und es entstand der Begriff des umgebenden Raums der analytischen Geometrie. Und danach entstanden all’ die vielen anderen mathematischen Räume und die mathematischen Räume, die Metaphern von anderen Räumen sind.

Auch die Ankopplung der Zeit als vierter Dimension des 3-D Raums wurde bereits im 15. Jahrhundert in der Kultur der narrativen bzw. darstellenden Künste vollzogen. Denn als die dreidimensionale Integration des Raums einmal feststand, konnte man in theatralischen und malerischen Erzählungen nicht mehr Ereignisse als gleichzeitig darstellen, die zu verschiedenen Zeiten oder an verschiedenen Orten stattgefunden hatten.

„Die Grenze zwischen dem Raum und dem Universum“. Dieser Titel insinuiert, Raum und Universum seien verschieden. Das Universum sei real, bedeutet: es existiert. Der Raum sei lediglich ein kognitives Konzept, das in der Kultur entstanden sei.

Dieser kulturell erzeugte Raum, der umgebende Erfahrungsraum mit drei Dimensionen, der Renaissance-Perspektivraum und Ursprung des Anti-de-Sitter-Raums, ist ein Derivat des Raums zweiten Grades (siehe oben: die Begriffe „Raum ersten, zweiten und dritten Grades“). Er ist eine „Ausstülpung“, die aus den Häusern und Gebäuden mit ihren vier Wänden „herausquillt“. Das ist wörtlich zu nehmen. Denn der umgebende Raum ist „gemacht“ worden. Er ist allopoietisch. Filippo Brunelleschi und Leon Battista Alberti haben ihn „gemacht“. Dabei haben sie genau erklärt, wie sie ihn „gemacht“ haben.

Die geraden euklidischen Linien waren durch das Lineal und das Lot der Maurertechnik entstanden. Mit ihrer Hilfe konnte man in den Wänden Türen, Tore und Fenster ausgrenzen. Und mithilfe der linearen Begrenzungen der Fenster als Basis konnte man Raumsysteme erfinden, die nicht aus Mauern sondern aus Linien bestanden.

Alberti schreibt dazu folgendes in seinem Buch „Della Pittura“. (Wir sollten uns das nun folgende Zitat als Haussegen über jeder Eingangstür eines jeden Hauses aufhängen):

„Disegno un quadrangolo di retti angoli quanta grande io voglio, el quale reputo essere una finestra aperta sul mondo per donde io miri quello che quivi sarà dipinto“

(„Ich zeichne, so groß wie ich will, ein Viereck mit rechten Winkeln, von dem ich mir vorstelle, es sei ein Fenster, das zur Welt geöffnet ist und von dem aus ich anschaue, was hier abgebildet werden soll.“)

Aus dem 3-D-Perspektivraum ergab sich als narratologische Konsequenz die Darstellungsregel der drei Einheiten „Ort, Zeit und Handlung“. Daraus wiederum ergab sich der vierdimensionale Bild- und Narrationsraum. Als die Perspektivkonstruktion zuverlässig funktionierte, wurde es notwendig, die abgebildeten Figuren so darzustellen, dass die Betrachter sahen, dass die Figuren schwer waren. Damit war das Darstellungssystem komplett. Es gab den 4-D-Raum, dem man ansah, dass in ihm Gravitationskräfte wirkten.

Würde es uns heute leichter fallen, die Raumlosigkeit des Universums zu akzeptieren, wenn wir noch daran gewöhnt wären, der Darstellung von Geschichten auf den Simultanbühnen des mittelalterlichen Mysterientheaters zuzuschauen? Auf diesen Bühnen war – von der Bühne aus gesehen – ganz rechts außen das himmlische Paradies dargestellt. Ganz links außen befand sich die Pforte der Hölle. Sie hatte die Form des riesigen Mauls eines Ungeheuers. Das Maul spukte Teufel aus, die sich unverzüglich auf der Welt verteilten. Die „Welt“ war der Raum zwischen Himmel, ganz rechts, und Hölle, ganz links. Die Welt bestand aus vielen gleichzeitig und nebeneinander dargestellten Orten. Den Zuschauern war klar, dass bei allem, was auf der Bühne passierte, die Einflüsse des Himmels und der Hölle wirksam waren, und zwar nicht nacheinander, sondern immer und gleichzeitig. Direkt neben dem Himmel, schräg über ihm, befand sich eine von Wolken gerahmte Flugmaschine, mit deren Hilfe dargestellt wurde, wie sich die göttliche Wahrheit auf die Erde niedersenkte. In allem, was die Menschen erlebten, wirkten die Gnade Gottes und die Bemühungen der Teufel, die ständig versuchten, die Menschen zu verführen.

In der Theatergeschichte bleibt nicht unerwähnt, dass die Teufel bei den Zuschauern beliebt waren. Sie waren komisch, denn sie stellten auf der Bühne alles dar, was gut erzogene Menschen nicht tun dürfen, worüber sie aber trotzdem lachen. Dazu gehören beispielsweise das Ausscheiden von Flüssigkeiten und Exkrementen, und natürlich auch die ständige Belastung durch Blähungen, unter der die Teufel ebenso litten wie die Menschen. Somit hatten die Menschen Verständnis für die Teufel.

Hätte man in einer Welt, die an diese Erzählstrukturen gewöhnt war, auch der Quantentheorie mehr naives Vorstellungsvermögen entgegengebracht?

Vom Mysterientheater in Valenciennes ist eine Abbildung überliefert. Sie fehlt in keiner Theatergeschichte. Auf dem Podium dieses Theaters stand das Paradies neben dem Haus von Nazareth mit seinem Vorgarten und seinem Gartentörchen. Daneben: Jerusalem. Davor: der jüdische Tempel. Daneben im Hintergrund: ein Bischofssitz, im Vordergrund: ein Palast mit Gefängnis; daneben im Hintergrund: das „goldene Tor“; im Vordergrund: das Meer mit Schiffen; dann im Hintergrund das Fegefeuer, und dann, ganz außen an der Rampe (wie eine Rampensau): die Hölle.

Stellten die Bretter dieses Podiums die Welt dar? Ja das taten sie! Es war die Welt der raumlosen Gnade Gottes und seiner Heilsgeschichte, in der sich alles gleichzeitig neben allem befindet.

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